Abschied von Che

Marcus Hammerschmitt   29.11.2003

Che Guevara ist zum öffentlichen Besitz von Antiimperialisten, Antiamerikanern, Friedensbewegten, Querfrontschwurblern und rechtsradikalen Völkerbefreiern geworden.

Bis vor kurzem hatte ich einen Nachbarn, der ein wahrer Che Guevara-Fan war. Er besaß eine ganze Kollektion von Che Guevara-Hemden und T-Shirts: Auf allen prangte das bekannte Portrait seines Helden, mal größer, mal kleiner, in unterschiedlichen Farben. Aber der Mann war auch für Frieden: an seinem Fenster gab ein kleines Plakat zu bedenken, dass es keinen Weg zum Frieden gebe, sondern der Frieden selbst der Weg sei. Auch eine Friedenstaube war darauf zu sehen. Vielleicht ist dem Mann der Widerspruch zwischen der hingebungsvollen Feier des bekanntesten modernen Guerillastrategen und der unbedingten Friedensliebe nicht aufgefallen, die sich in dem Plakat ausdrückte. Vielleicht war ihm dieser Widerspruch kein Problem, schließlich hat die Friedensbewegung schon immer mit einem Che Guevara-Spruch geworben: "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker."


Auf jeden Fall ist mein Nachbar mit seiner Che Guevara-Verehrung nicht allein. Schaut man sich um, dann entdeckt man Che nicht nur bei den üblichen Verdächtigen - sein Portrait hat längst den engen Kreis des Polit-Merchandisings verlassen, und kann nun buchstäblich überall vorkommen: auf Schuhen,  Zigaretten [1] und sogar  Handtaschen [2].

Che Guevara ist in. Während bei Bands wie  Rage against the machine [3] immerhin noch eine Verbindung zwischen der Verpackung und dem Inhalt hergestellt Werden kann, ist das bei vielen anderen Che-Produkten so unmöglich wie bei der klassischen Mozartkugel. Genau diese inhaltliche Entkernung macht das Portrait für alles und jedes brauchbar, was in der Konkurrenz um Käufer auf Distinktionsgewinn durch ein bisschen Nonkonformismus setzt. Sicher haben wir es hier mit dem Phänomen zu tun, das die  Situationisten [4] als "Rekuperation"  bezeichneten [5]: die Rückholung eines einstmals rebellischen Impulses in die Welt der Ware, der Verwertung und des geschäftsträchtigem Spektakels.

Aber zweifellos erschöpft sich die neuerliche Popularität Che Guevaras nicht in dieser Funktion als merkantile Mehrzweckikone. Es geht natürlich um Amerika, genauer gesagt um die USA, und Che eignet sich mit seiner These, dort schlage "das Herz der Bestie", wie kein anderer als Projektionsfläche für einen banalen Antiamerikanismus, der in den letzten Jahren erheblich an Schwung  gewonnen hat [6].

Wenn man die von Che Guevara vertretenen Ideen auf diese antiamerikanische Komponente herunter bricht, sind sie auch für "Antiimperialisten" brauchbar, die noch heute an den "nationalen Befreiungskampf" der Palästinenser glauben  möchten [7] - sowie für astreine Neonazis.


Das ist keine bloße Theorie: Nachdem das Palästinensertuch als linkes Ideologietextil schon lange bei der Rechten angekommen ist, sind neuerdings auch stramme Nazikader mit Che Guevara-T-Shirt auf den entsprechenden Veranstaltungen gesichtet worden. Das macht aus Che Guevara noch lange keinen verkappten Faschisten, aber wer unbedingt will, kann aus seinen Ideen einen Sud herstellen, der auch Strategen à la Osama Bin Laden behagen würde. Da ist nicht nur die unbedingte Feindschaft gegen die USA, für die Che Guevara ja durchaus Gründe hatte, die sich aber allzu leicht reaktionär wenden lässt.

Auch seine so genannte  Fokus-Theorie [8], die theoretische Grundlage seiner gescheiterten Versuche zum Export der kubanischen Revolution, lässt sich aus einem bestimmten Blickwinkel als Gründungsdokument des terroristischen "Asymmetrismus" lesen: dass es auf den Willen einer entschlossenen Gruppe von Kämpfern ankommt, um den übermächtig scheinenden Feind zu besiegen, dass diese Gruppe ihre Basis hauptsächlich in ländlichen Gebieten haben muss, und dass das Mittel der Wahl der Guerillakampf sein muss, würde jede Al-Quaida-Zelle weltweit unterschreiben. Nur wollte Che Guevara den Sozialismus, und die Al-Quaida nichts weniger als das.

Aber zunächst zählt nur der gemeinsame Feind, das Weltübel schlechthin, das bequem und denkfaul in den USA verortet wird, als habe sich seit den Tagen des Vietnamkriegs nichts geändert. Und dieser unreflektierte Antiamerikanismus ist auch die Schnittstelle zwischen all den Szenen und Milieus, in denen die aktuelle Verehrung Che Guevaras grassiert: von den Mode-Guevaristen über die Friedensbewegten und die Spätautonomen bis zu den  Querfrontschwurblern [9] und den rechtsradikalen Völkerbefreiern sucht alles nach dem Hauch von Rebellion, nach dem Mitgliedsausweis für die Gang der Gerechten, die sich dem übermächtigen Bösen in den Weg stellt, wenn auch zunächst nur symbolisch.

Sich inhaltlich mit Che Guevara auseinanderzusetzen schadet da nur; ihn gar in seiner Widersprüchlichkeit und seinem Scheitern wahrzunehmen, wäre vollends kontraproduktiv - zwei oder drei seiner Sprüche und vor allem das verbrauchte Portrait reichen völlig.

Neulich hatte ich die Idee, die Fans an einem Platz zusammenbringen, mit all ihren Demo-Fahnen, T-Shirts, Baseballkappen, Handtaschen, Buttons und dem ganzen anderen Kram. Einen Che Guevara-Darsteller müsste man vor ihnen auftreten lassen - vielleicht könnte ja Norbert Hähnel den Revolutionsheino für sie  machen [10].

Er könnte Guevaras UNO-Rede von 1964 noch einmal  halten [11] oder vielleicht eine Zusammenfassung aus "Der Guerillakampf"  herunterdeklamieren [12]. Manche wären vielleicht erschrocken, andere fasziniert, wiederum andere fühlten sich wahrscheinlich bestätigt, und der große Rest wäre für eine kurze Zeit verwirrt.

Ändern würde sich nichts. Che Guevara ist zu einem derart verbrieften öffentlichen Besitz geworden, wie Jesus dient er so nachhaltig einem überwältigenden Bedürfnis nach Glorifikation und Projektion, dass keine Form der Aufklärung mehr etwas daran ändern wird. Aber genau so wenig, wie der Irak Vietnam ist, ist das verbrauchte Portrait des Revolutionärs aus Argentinien heute ein Symbol für emanzipatorische Politik. Zeit für den Abschied von Che.

Links

[1] http://concord.antville.org/stories/86722
[2] http://concord.antville.org/stories/500045
[3] http://www.cheap-poster.com/Music/Rock-Roll/Rage-Against-the-Machine/PID-391044/Rage-Against-The-Machine-Che-Guevara
[4] http://www.trend.partisan.net/trd0499/t080499.html
[5] http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/rohrpost-0009/msg00057.html
[6] http://www.jungle-world.com/seiten/2003/40/1774.php
[7] http://de.indymedia.org//2002/02/16431.shtml
[8] http://www.lateinamerika-studien.at/content/lernpfade/pfad1/pfad1-220.html
[9] http://trend.partisan.net/trd1103/t051103.html
[10] http://www2.dietotenhosen.de/fdh_heino.htm
[11] http://www.sozialistische-klassiker.org/Che/Che02.html
[12] http://chehasta.narod.ru/guerillaeng.htm

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/mein/16197/1.html


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